Günther LoewitSchriftsteller
Blog

COVID-19 XI

24. November 2021

Die Impfung

Die Ängste und Verschwörungstheorien von Impfgegnern sind so alt wie die Geschichte des Impfens selbst. Sie beginnt mit dem erfolgreichen Kampf der Medizin gegen die Pocken.
Dem englischen Arzt Edward Jenner gelingt 1796 die erste Impfung gegen die epidemisch auftretende Erkrankung, indem er Krankheitserreger in die Haut eines achtjährigen Jungen ritzt. Nadeln gibt es noch nicht. Der Knabe ist der Sohn seines Gärtners. Die Erreger gewinnt er aus den Eiterblasen von an Kuhpocken erkrankten Menschen. Die Kuhpocken sind an und für sich harmlos. Daher der Name Vakzine (lat.: vacca= die Kuh). Offensichtlich schützen die Kuhpocken gegen die tödlichen Menschenpocken. Ein heute barbarisch anmutender Versuch wird zum Meilenstein in der Medizingeschichte.
Trotzdem regt sich Widerstand.
Skeptiker warnen zu Beginn des 19. Jahrhunderts davor, dass die Pockenimpfung zur Verwandlung des immunisierten Menschen in eine Kuh führen könnte. Die Idee ist nicht weniger absurd als die Vorstellung, im Rahmen der Coronaimpfung 2021 einen Chip implantiert zu bekommen. Offensichtlich ist die Angst vor einem Schicksalsschlag „Erkrankung" nicht so ausgeprägt wie die Angst, dem Körper gezielt eine gegen diese Erkrankung wirksame Substanz zuzuführen. Der Stich mit der Nadel in den Körper wird als weit bedrohlicher empfunden, als die jahrhundertelang von der römisch-katholischen Kirche ausgeübte Indoktrination des Geistes.
Von Impfaberglauben und Geschäftemacherei der Ärzteschaft ist die Rede. Die erste Zeitschrift von Impfgegnern erscheint in England. „The Anti-Vaccinator" wird von Henry Pitman aus Manchester herausgegeben und erscheint 1869 in immerhin 18 Ausgaben.
Im nationalsozialistischen Deutschland formiert sich bald nach der Machtübernahme durch die NSDAP zunehmender Impfwiderstand. Immer noch gilt die aus dem Jahr 1874 stammende Impfpflicht gegen Pocken. Im Hetzblatt „Der Stürmer" heißt es „…mir ist so komisch zu Mut, Gift und Jud tut selten gut." Abgebildet ist dabei ein Arzt mit Hakennase und einer Spritze in der Hand. Impfen wird als Erfindung der Juden und als Rassenschande dargestellt. Der gesunde Volkskörper der Herrenmenschen braucht keine Impfung.
Die Impfpflicht gegen Pocken wird ausgesetzt. Gestorben wird am Schlachtfeld.
Nach dem Krieg wird die verpflichtende Immunisierung in Österreich 1948 wiedereingeführt. Nach unterschiedlichen Schätzungen sterben im 20. Jahrhundert immer noch 400 Millionen Menschen an den Pocken. In den USA wird die Routineimpfung mit Pockenimpfstoff 1972 beendet. Erst 1979 erklärte die WHO die Pocken für besiegt.
Es ist ein wohl überwiegend ein Verdienst des Impfens.
Rückblickend müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass bei einer von 10.000 Impfungen schwere Nebenwirkungen aufgetreten sind. Ein bis zwei Todesopfer pro 1 Million Impfungen waren der Preis für die Ausrottung der Pocken.
Die Kollateralschäden der unterschiedlichen Corona-Impfungen sind wesentlich geringer. Bleibt die Frage, ob COVID-19 eine Impfpflicht wert ist? Dass Geimpfte gegenüber Ungeimpften im Krankheitsfall einen Vorteil haben, wird selbst von Impfgegnern nicht bestritten.
Als Gesellschaft können wir nur dann auf die Impfung verzichten, wenn wir bereit sind, vermehrt Todesopfer in Kauf zu nehmen. Dazu bräuchte es allerdings einen gemeinsamen Diskurs und nicht das Aufeinanderprallen von individuellen Standpunkten.
Das Argumentieren mit Einzelschicksalen führt uns nicht weiter.
Nach 7,7 Milliarden weltweit verabreichter Impfdosen darf davon ausgegangen werden, dass COVID-19 weit gefährlicher ist, als die Impfung.
Könnten wir uns als Gesellschaft nicht auf eine „Entängstigung" einigen?
Sowohl in der Dramatik der Berichterstattung über die Pandemie, als auch in der Diskussion über die Gefährlichkeit des Impfstoffes?