Günther LoewitSchriftsteller
Blog

Degradierung (aus derzeitiger Arbeit)

21. November 2009

 Ohne Vorgespräche, ohne Vorwarnung wird im Sommer 2008 in einem österreichischen Krankenhaus die gesamte Baumwollberufskleidung für Ärzte eingezogen und durch billige Synthetikwäsche ersetzt.

Alle Einwände der betroffenen Ärzteschaft, dass die neue Berufskleidung unansehnlich, unbequem und unangenehm zu tragen wäre, werden von der Anstaltsleitung mit dem Argument der besseren hygienischen Eigenschaften der Plastikwäsche und der billigeren Reinigung vom Tisch gefegt. Es könne ein Waschgang und das Bügeln der Wäsche einespart werden.

Die Ärzte mussten sich geschlagen geben. Auf einzelnen Betriebsversammlungen wurde allerdings vermutet, dass der wahre Grund für die billigere, aus Sicht der Verantwortlichen „bessere“ Wäsche einzig und allein im symbolischen Degradieren der Ärzte bestand. Das Gefühl der Ärzte, sich im neuen Gewand wie Fließbandarbeiter oder Konditoreibedienstete zu fühlen muss entweder beabsichtigt oder zumindest mit Freude zur Kenntnis genommen worden sein.

  Ein Arzt, der sich wie ein Arbeiter fühlt, ist auch eine gelebte Form des Satzes „Kleider machen Leute“. Und ein Arzt der sich „in seiner Haut“ nicht wohl fühlt wird auch den Patienten gegenüber anders auftreten, als ein selbstbewusster und selbstsicherer Mediziner. Ein weiterer kleiner Schritt in Richtung einer mundtoten, verunsicherten Ärzteschaft, die sich nicht mehr berufen sondern lediglich noch geduldet fühlt.