Günther LoewitSchriftsteller
Blog

Wie lange noch? Und wieviel?

11. Mai 2018



Endlich ist die Akademikerschwemme dort angekommen, wo wir es befürchtet hatten. Gut ausgebildete Köpfe, deren Hände kein Handwerk mehr erlernt haben, denken den ganzen langen akademischen Tag darüber nach, wie sie sich für die Menschheit nützlich machen könnten. Und ja, sie können. Indem sie z.B. von ihren Schreibtischen und Laptops aus permanent neue Eventualitäten und Sondersituationen, und damit letztlich inflationär neue Sicherheits- und Qualitätsstandards erfinden. Für die immer weniger werdenden Schaffenden. Zu denen wir Ärzte uns ja auch zählen dürfen, wenn wir „Chirurg" aus dem Altgriechischen mit Handwerker ins ärztliche Selbstverständnis übersetzten.
Und wenn die neue Datenschutzverordnung sehr klar erkannt hat, dass unsere Sicherungsfestplatten von Einbrechern gestohlen und die Daten sodann hemmungslos missbraucht werden könnten, so hat sie übersehen, dass auch die übrigen Rechner und Server gestohlen werden könnten. Und was wenn gar ein Patient selbst nach dem Verlassen der Ordination entführt und unter Gewaltandrohung zur Preisgabe seiner Krankengeschichte gezwungen würde? Trügen dann auch die behandelnden Ärzte die Verantwortung und Versicherungspflicht für die Datensicherheit?
Zufälligerweise bieten unsere zahlreichen, sich selbstverständlich und ständig in den Preisen für Ärzte ruinös unterbietenden Soft- und Hardwarefirmen selbstverschlüsselnde Festplatten an. Dankenswerterweise mit dem liebevollen Zusatz, dass bei Nichterwerb samt kostenpflichtiger Fernwartungseinbindung ins System hohe Bußstrafen zu berappen wären. An dieser Stelle: Danke für den Hinweis!

Und dann wäre ja noch die verpflichtende schriftliche, im Betrieb aufliegende Pausenvereinbarung mit unseren Angestellten, die mich im Notfall beim Notfall ohne Assistentin reanimieren lässt, weil ja präzise, für jeden Arbeitsinspektor klar ersichtlich festgelegt ist, dass jetzt Pause wäre. Im Notfall, denn es gibt ja auch noch den Hausverstand, für die, die selbigen noch rechtzeitig bei Billa erworben haben!

Das Datenleitungssicherheitszertifikat von A-Trust ist übrigens für Ärzte offensichtlich zum doppelten Preis erhältlich. Oder, was so gut wie undenkbar erscheint, hat die Vermittlungsfirma heimlich 100% draufgeschlagen? Das ergab eine Rücksprache mit meinem Rechtsanwalt und Therapeuten in Personalunion, der mir glaubhaft beteuerte, dass sein Zertifikat pro Jahr lediglich € 17,40 koste. Das liegt aber vielleicht daran, dass Laborwerte und Röntgenbilder im unterirdischen Glasfaserkabel noch sensibler und gefährdeter sind, als zum Beispiel die Gerichtsakten von Hackern. Und damit noch besser zertifiziert werden müssen.

Unlängst finde übrigens ich in meinen Mails einen Hinweis von Google, dass ich Kunden und Bewertungen verlieren werde, wenn ich meine Öffnungszeiten zu den Osterfeiertagen nicht ordnungs- und zeitgemäß im Internet dokumentiere. Auch hier ein Danke! Werde ich sofort erledigen.
Bei der gesetzeskonformen Ausstellung der „Dienstzettel" für meine Angestellten wollte sich kurz die Frage nach der Sinnhaftigkeit meines Tuns stellen. Dieses innere Aufbegehren habe ich aber sofort unterdrücken können. Gilt es doch die Energien für höhere Ziele zu bündeln. Schließlich steht die neuerliche online-Selbstevaluierung der Ordinationen an. Und nicht zu vergessen, 2019 das neue Fortbildungszertifikat!
Die Frage ob ich manchmal Ohnmacht und Wut empfinde kann ich ganz klar mit „nein" beantworten.
Habe ich doch schon lange vor dem KAV-Wien einen Esoteriker damit beauftragt, einen Schutzring um meine sensible Psyche und den Ort meines Wirkens zu zaubern. Vielleicht etwas billiger als beim Krankenhaus Wien Nord, wollen Sie wissen? Das bleibt aber mein Geheimnis. Datengeschützt und gesichert. Außer Sie rauben mir meinen unverschlüsselten Verstand!