Günther LoewitSchriftsteller
Blog

Juristen und Medizin

13. März 2019


Offene Gedanken an die Patientenanwälte Doktorin Sigrid Pilz und Doktor Gerald Bachinger
Mit Ihren medial verbreiteten Äußerungen zur Homöopathie stoßen Sie bei mir persönlich durch- aus auf philosophisch offene Ohren. Schon lange frage ich mich, wie Substanzen durch Verdün- nung wirksamer werden sollen. Wie ich den Medien entnehme, fordern Sie ein Verkaufsverbot für „unwirksame Präparate" und beziehen sich dabei primär auf Globuli und Bachblüten.
Aber bereits beim Wort „Wirksamkeit" trennen sich unsere gedanklichen Welten.
Mit schulmedizinischem Bedauern und ärztlichem Ärgernis stelle ich nach 37 Jahren medizinischer Erfahrung fest, dass Homöopathen im Einzelfall Erfolge erzielt haben, die der evidenzbasierten Schulmedizin versagt geblieben sind.
Wenn medizinisch-pharmakologische Wirkung und klinischer Erfolg konsequent erklärt werden könnten, müsste z.B. auch erklärbar sein, warum gut eingestellte Diabetiker mit einem jahrelangen HBA1c von 6,2% manchmal schon mit 65 Jahren versterben, und Patienten mit wenig Compliance und einem HBA1c von durchschnittlich 8% dann und wann 90 Jahre alt werden.
Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass wir im medizinisch-pharmakologischen Bereich öfter von Placebo-Wirkung sprechen müssen, als uns das lieb ist. Wenn Sie aber Placebowirkung ver- bieten wollen, müssten Sie die halbe Medizin verbieten. Ich frage Sie, wie Sie mit der oft erstaunli- chen Placebowirkung in Doppelblindstudien - deren Erkenntnisse Sie ja nicht in Frage stellen - umgehen wollen?
Genau so gut könnten Sie die Forderung aufstellen, alle Krankenanstalten, in denen multiresisten- te Keime nachgewiesen werden können, zu schließen, weil eine Hospitalisierung in einem solchen Haus potentiell lebensbedrohlich sein könnte. Ich denke, wir sind uns einig, dass eine solche For- derung absurd und utopisch wäre.
Wenn Doktorin Pilz im Standard-Gespräch fordert, dass Ärzte, die homöopathische Therapien an- bieten ihre Patienten aufmerksam machen müssten, dass es keine wissenschaftliche Evidenz für Homöopathie gibt und damit auch keine Wirksamkeit erwiesen wäre, überschreitet sie gleich mehr- fach die Grenze zwischen der juridischen und der medizinischen Fakultät. Denn es obliegt - noch - der Verantwortlichkeit des Arztes, welches „Heil"-mittel er einsetzt. Die Begriffe „Heil" und „Hei- lung" sind nicht durch die Parameter Kilogramm, Meter, Sekunde, Mol, Candela, Ampere, und Kel- vin ausdrückbar. Heilung hat auch mit der Psyche des Menschen zu tun.
Wenn seriöse Studien aufzeigen, dass sich bis zu 50% der Patienten nicht an die von Ärzten ver- ordneten Therapien halten, und wir Ärzte trotzdem der Meinung sind, evidenzbasiert geheilt zu ha- ben, müssen wir Placebowirkung als essentiellen Bestandteil der Medizin gedanklich zulassen. Denken Sie nur an den berühmten englischen Arzt Michael Balint, der die Wirksamkeit der „Droge Arzt" postuliert hat.
In den KAV Spitälern der Stadt Wien gibt es vereinzelt komplementärmedizinische Angebote. Die- se Therapien richten sich an Patienten, „die eine solche Ergänzung zu medizinischen Behandlun- gen im Spital wünschen, weil alternative Behandlungsformen bei meist komplexer Krankheitsstruk- tur zusätzlich das Wohlbefinden erhöhen können".
Der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger wird im „Der Standard" wie folgt zi- tiert: „Laut Krankenanstalten-Gesetz dürfen nur medizinisch anerkannte Verfahren angeboten wer- den - das ist bei Homöopathie definitiv nicht der Fall."
Was bedeutet „medizinisch anerkannt"? Mir ist nur eine Gruppe von Menschen bekannt, die medi- zinische Wirkung erkennen: Die Patienten.
Ob Juristen therapeutische Wirkung anerkennen ist sekundär.
Herr Doktor Bachinger, Sie fordern auch strengere Regeln für niedergelassene Ärzte. Stellen Sie sich vor, Ärzte würden strengere Regeln für Anwälte fordern!
Ihr Fachgebiet betreffend würde ich mich höchstens zur Äußerung hinreißen lassen, dass Recht einer objektiven Gerechtigkeit nicht gerecht werden kann, weil es eine solche vermutlich nicht gibt.

Respektieren wir also gegenseitig unsere Fachgebiete mit all ihren Stärken und Schwächen.